Wie Sozialrichter Altersvorsorger aburteilen

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Wie urteilen Sozialrichter, wenn sich Altersvorsorger gegen überbordende Sozialabgaben wehren? Das Urteil des hessischen Landessozialgerichts dürfte viele ernüchtern, die glaubten und immer noch glauben, eigenverantwortliche Altersvorsorge würde sich lohnen.

Sozialrecht darf (fast) alles – zu diesem Schluss kommt, wer das Urteil des hessischen Landessozialgerichts (LSG) in Darmstadt in Sachen Hans-Herbert F. gegen Pronova BKK liest. Das Landessozialgericht wies Hans-Herberts Klage zurück. Der hatte zuerst vor dem Sozialgericht Wiesbaden, dann vor dem hessischen Landessozialgericht geklagt, dass er für seine drei Direktversicherungen die vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zahlen soll – und das zehn Jahre lang, insgesamt 12.834 Euro.

Sozialrichter weisen Klage ab

Der Kläger, sprich Hans-Herbert F., bestreitet laut Urteil, dass es sich um eine betriebliche Altersvorsorge handelt, was das Sozialgericht Wiesbaden allerdings anders sieht, denn, die Versicherungen seien über die gesamte Laufzeit als Direktversicherung geführt worden und der Arbeitgeber habe die Beiträge gezahlt, ferner sei Hans-Herbert F. nicht Versicherungsnehmer gewesen.

Dagegen klagte Hans-Herbert F. erst vor dem Sozialgericht Wiesbaden und ging dann, nach Abweisung der Klage, vor das hessische Landesgericht. Das sah die Rechte des Klägers nicht verletzt und das Urteil des Sozialgerichts als „nicht zu beanstanden“. Es half Hans-Herbert F. auch nichts, ein Urteil des Bundesssozialgerichts zu zitieren – das Landessozialgericht verwies darauf, dass die Bundessozialrichter „zum wiederholten Male dargelegt haben, unter welchen Voraussetzungen Kapitalauszahlungen aus den vom Arbeitgeber zu Gunsten seiner Arbeitnehmer abgeschlossenen Lebensversicherungen (Direktversicherung) als Versorgungsbezug zu werten sind und hieraus die nach dem Gesetz resultierenden Beitragspflicht begründen“. Das Bundessozialgericht habe nochmals die Verfassungsmäßigkeit der … gesetzlichen Regelung bestätigt – und dann folgen eine ganze Reihe Paragrafen, darunter § 237 Satz 1 SGB V, § 57 Absatz 1 Satz 1 SGB XI, § 229 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 SGB V. Als Grundsatz gelte: „Wesentliche Merkmale einer Rente der betrieblichen Altersvorsorge (als einer mit der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbaren Einnahme) i. S. des Beitragsrechts der GKV (GKV steht für gesetzliche Krankenversicherung) sind, wenn ihr Bezug nicht schon institutionell (Versicherungseinrichtung, Versicherungstyp) vom Betriebsrentenrecht erfasst wird, ein Zusammenhang zwischen dem Erwerb dieser Rente und der früheren Beschäftigung sowie ihre Entgelt-Ersatzfunktion“ – und dabei verweist das Landessozialgericht auf eine Reihe BSG-Urteile. Angesichts dieser Zusammenhänge schließt das Landessozialgericht, dass die Direktversicherung eine betriebliche Altersvorsorge sei.

Wer ist Versicherungsnehmer?

Hans-Herberts Einwurf, er habe die Direktversicherung selbst gezahlt (ohne den Arbeitgeber), hilft ihm beim Landessozialgericht nichts: „Die Finanzierung der Direktversicherung durch den Kläger als Arbeitnehmer beseitigt ihre Charakterisierung als betriebliche Altersvorsorge nicht.“ Dreh- und Angelpunkt sei, ob der Versicherungsvertrag vom Arbeitgeber abgeschlossen worden sei und diesen als Versicherungsnehmer ausweise. Es komme ferner nicht darauf an, ob die Beiträge aus dem Brutto- oder aus dem Nettoentgelt gezahlt worden seien. Letztlich komme es auch nicht darauf an, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Versorgungs- oder eine reine Versicherungszusage erteilt habe. Mit der Versicherungsnehmereigenschaft des Arbeitgebers liege auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „ein formal einfach zu handhabendes Kriterium vor, das ohne Rückgriff auf arbeitsrechtliche Absprachen eine Abschichtung betrieblicher von privater Altersversorgung durch Lebensversicherungsverträge erlaubt“.

betriebliche contra private Altersvorsorge

Der betriebliche Bezug werde erst dann vollständig gelöst, „wenn und soweit die ausgezahlten Kapitalleistungen auf Beiträgen beruhen, die ein Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Erwerbstätigkeit auf den Lebensversicherungsvertrag unter Einrücken in die Stelle des Versicherungsnehmers eingezahlt hat“. Aus der betrieblichen ist somit eine private Altersversorgung geworden – und der Altersvorsorger muss auch keine Kranken- und Pflegebeiträge dafür zahlen.

Die Landessozialrichter haben Hans-Herbert F. – und allen anderen Altersvorsorgern – ins Stammbuch geschrieben, dass er sich nicht auf staatliche Zusagen verlassen solle: „Die Versicherten konnten aber, nachdem der Gesetzgeber bereits mit dem Rentenanpassungsgesetz (RAG) 1982 … laufende Versorgungsbezüge in die Beitragspflicht einbezogen hatte, nicht uneingeschränkt in den Fortbestand der zunächst beitragsrechtlichen privilegierten Einmalzahlungen vertrauen.“

Alle sind gleich, aber …

Der Clou des Urteils ist der Bezug zur Riesterrente und der Vergleich mit der Direktversicherung: Hans-Herbert F. monierte die Ungleichbehandlung von betrieblichen Riesterrentnern und Direktversicherten. Er sah darin eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Sozialrichter in Darmstadt sehen die „beitragsrechtliche Ungleichbehandlung“ als „jedenfalls sachlich gerechtfertigt“. Wie das? Nun, dem Gesetzgeber sei eine Differenzierung erlaubt. Er habe einen „weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der sozialstaatlichen Ordnung“. Nach diesen Maßstäben sei die Beitragspflicht des Klägers verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber können in Bezug auf die Beitragspflicht von Versorgungsleistungen eine Teilgruppe herausgreifen und mehr zahlen lassen.

Regieren nach Gutsherrenart

Und jetzt kommt’s: „Der Gesetzgeber hat bei der Wahl des Mittels die Grenzen seiner Einschätzungsprärogative nicht verlassen.“ Dem Gesetzgeber war klar, dass sich die betriebliche Riesterrente nur hätte schwer verkaufen lassen, wenn die Riesterrentner – wie Direktversicherte –, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zahlen müssen, weil darin ein „Fehlanreiz“ bestehe, wie die Darmstädter Sozialrichter richtig erkannt haben. Der Gesetzgeber hätte „Riesterrentner“ ja auch nicht „unverhältnismäßig“ begünstigt, deswegen sei diese Ungleichbehandlung erlaubt. Riesterrentner werden privilegiert, Direktversicherte an ihre Solidarität erinnert, das ist die Quintessenz dieses Urteils. Oder anders ausgedrückt: „Schön blöd, wer fürs Alter vorsorgt“.

Übrigens, „Prärogativ“ heißt nichts anderes als „Vorrecht des Herrschers oder Souveräns“ – das ist Regieren nach Gutsherrenart, sprich in „selbstherrlicher Manier“. Der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz tritt damit in die Fußstapfen seiner Vorgängerin Angela Merkel.

Lehren aus dem Urteil

Die Lehren aus diesem Urteil:

  1. Misstrauen dem Staat
  2. Verlasse dich nicht auf irgendwelche Zusagen
  3. Informiere dich
  4. Kümmere dich selbst um deine Altersvorsorge
  5. There is no free lunch – Es gibt nichts umsonst, denn, was dir der Staat an Vergünstigungen gewährt, holt er sich später wieder zurück

Dieses Urteil „im Namen des Volkes“ ist eine Bankrotterklärung der betrieblichen Altersvorsorge, die der Staat ungestraft plündern darf, wenn das Geld nicht reicht.

 

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