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Wie nachhaltig ist das Modell der Sozialversicherung von Otto von Bismarck? Hat unser Sozialsystem eine Zukunft? Oder braucht es Reformen?

Von Friedhelm Schnitzler

Wir alle können uns an Norbert Blüms Satz erinnern, das zum geflügelten Word wurde: Der ehemalige Bundesarbeitsminister ließ sich 1986 beim Bekleben einer Litfaßsäule fotografieren, auf der sein Spruch prangte „Denn eins ist sicher: die Rente“. Die Aussage bezog sich auf die gesetzliche Rentenversicherung, wenngleich schon damals das Drei-Säulen-Modell aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge propagiert wurde. Es war also klar:  Die Rente ist zwar sicher, aber sie reicht nicht.

Rente – sicher?

Leider müssen wir heute, 35 Jahre später, feststellen, dass die Rente für die bald in Rente gehenden „Baby Boomer“ schon drastisch gegenüber den Prognosen eingeschränkt und für kommende Generationen alles andere als sicher ist. Natürlich konnte Norbert Blüm damals viele Dinge nicht vorhersehen, aber seine Aussage führte dazu, dass ein Großteil der Bevölkerung es nicht als notwendig ansah, zusätzlich privat vorzusorgen. Es gab indes einen Teil der Bevölkerung, der sich etwas mehr Sicherheit wünschte und den Weg der betrieblichen Altersversorgung wählte. Leider ging diese Rechnung bei vielen nicht auf.  Wer damals auf die Rahmenbedingungen schaute, erwartete sich durch einen teilweisen Verzicht auf Lohn und Gehalt eine etwas bessere Altersversorgung.

Die Generation, die sich in den 80er-Jahren für eine Absicherung im Alter entschied, geht jetzt in den Ruhestand. Viele sind enttäuscht, wie wenig von der seinerzeit erwarteten gesetzlichen Rente „sicher“ ankommt und wie wenig von der betrieblichen Altersversorgung übrig ist. Die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf Betriebsrenten haben sich mehr als verdoppelt und von betrieblichen Kapitallebensversicherungen, obwohl privat finanziert, müssen annähernd 20 Prozent an die Krankenkasse abgeführt werden. Dabei ist es auch kein Trost, dass diese Zahlung über zehn Jahre gestreckt werden und 2020 ein kleiner Entlastungsbetrag eingeführt wurde.

Wo  bleibt die Solidarität?

Das System der Gesundheitsversorgung und der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland ist nach wie vor eines der besten in der Welt, wenn nicht sogar das beste der Welt. Ein System mit hohem Leistungsniveau, aber auch sehr hohen Aufwendungen, die durch das zugrunde gelegte Umlageverfahren als solidarisches Finanzierungsmodell eingeführt wurde. Die Finanzierung der Gesundheitsaufwendungen ist vor dem Hintergrund der höheren Lebenserwartung im Alter und des medizinischen Fortschritts zweifelsohne eine große Herausforderung. Wie aber jetzt und in der Zukunft diese Last aufbringen und verteilen? Kann das Solidarsystem fortbestehen und können sich die Rentner auf eine Finanzierung  ihrer  Krankheitskosten verlassen ohne in Altersarmut zu verfallen?

Gesund – nur mit Zusatzversicherung?

Bereits vor der Einführung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) wurden Stimmen laut, die Rentner mehr an den Kosten zu beteiligen und den Rentnern ihre Kosten mehr und mehr selbst tragen zu lassen, was dann auch in ersten Schritten mit dem GMG umgesetzt wurde.  Dies entspricht dann sicherlich nicht mehr so ganz den Grundsätzen eines Solidarprinzips und dem Credo des Sozialverbands VdK – nicht mehr „jung für alt“ und „gesund für arm“.

Neben den mit diesem Gesetz verbundenen erhöhten Belastungen der Ruheständler, die durch teilweisen Einkommensverzicht Eigenverantwortung gezeigt haben, kamen mehr und mehr Leistungskürzungen und Eigenbeteiligungen auf diese Generation zu. Empfehlenswerte private Zusatzversicherungen, die Teile dieser Lücke schließen können, sind für Ruheständler häufig keine Option mehr, da Gesundheitsprobleme einen Abschluss erschweren oder nicht mehr möglich machen. Hinzu kommen die hohen Beiträge, wenn sie erst im Alter in diese Absicherungen eintreten, da die notwendigen Rückstellungen in jungen Jahren nicht aufgebaut werden können.

Rentner stärker belastet

Rechnet man alles zusammen – Krankenversicherung der Rentner (KvdR), betriebliche Altersvorsorge (bAV), Pflegeversicherung, Eigenbeteiligungen und individuelle Gesundheitsleistungen (IGEL) – kann die Belastung mit steigender Tendenz bei den Rentnern bei über 30 Prozent der gesetzlichen Rentenzahlung liegen. Erwerbstätige zahlen unter zehn Prozent.

Die Beispiele zeigen, dass politische Aussagen über die Zukunft der Sozialversicherung die Problematik über Jahrzehnte heruntergespielt haben und einer ganzen Generation hinsichtlich der Optionen der privaten Vorsorge eine falsche Sicherheit vorgespielt wurde.

Was gelten Versprechungen?

Geht das Gedankengut des Lotsen – Reichskanzler Bismarck wurde damals als solcher bezeichnet – nun nach über 125 Jahren auch  von Bord? Die heutige Generation muss sich darüber im Klaren sein, dass die Ansätze des ehemaligen Reichskanzlers nur noch in geringem Umfang Gültigkeit haben werden. Unsere Gesellschaft kann sich ganz schnell von einer Solidargesellschaft zu einer Individualgesellschaft entwickeln. Die Politik ist gefordert, dies transparent zu kommunizieren und keine falschen Anreize zu geben und keine Versprechen abzugeben, die nicht haltbar sind.

 

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