Reform

Wer eine Betriebsrente abschließt, sollte dem Staat misstrauen, weil der später nimmt, was er vorher gegeben hat. Der Fall Direktversicherung belegt das anschaulich. Ein Lehrstück für alle Altersvorsorger.

Die Geschichte der Betriebsrente ist geprägt von Vertrauensbruch und staatlicher Willkür. Das gilt sowohl für die Belastung der Betriebsrente durch Steuern und Sozialabgaben wie versprochenen Renditen, von denen am Ende nichts mehr übrig bleibt. Juristisch ist dem Staat nicht beizukommen, weil Sozialrichter immer aufs Gemeinwohl verweisen können – und damit ist fast alles erlaubt.

Was ist eine Betriebsrente überhaupt und welche Rolle spielt die Betriebsrente im Gesamtsystem Altersvorsorge? „wissen.de“ schreibt, dass die „Betriebsrente eine Form der betrieblichen Altersvorsorge ist“. Weiter heißt es, die betriebliche Altersvorsorge ist eine „über die gesetzliche Sozialversicherung hinausgehende Maßnahmen des Arbeitgebers zur Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenensicherung seiner Arbeitnehmer“. So weit, so gut. Was genau soll das sein?

Betriebsrente ≠ Betriebsrente

Jeder glaubt zu wissen, was eine Betriebsrente ist, dabei gehen die Meinungen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen auseinander: Die Rechtswissenschaft beispielsweise ordnet die Betriebsrente nicht etwa der betrieblichen Altersvorsorge zu, sondern benutzt Betriebsrente und betriebliche Altersvorsorge als Synonym. Beste Beispiele sind das Gesetz der betrieblichen Altersversorgung (bAV) (Betriebsrentengesetz – BetrAVG) und das GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz (GKV-BRG), dem „Gesetz zur Einführung eines Freibetrages in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Förderung der betrieblichen Altersvorsorge“. Das heißt, sie setzt beides gleich. Irritationen sind programmiert.

Das Verwirrspiel geht weiter: Was steckt denn in dieser Betriebsrente oder betrieblichen Altersvorsorge? Vielleicht hilft die Definition des Gabler Wirtschaftslexikons weiter: „Altersversorgung, die im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis aufgebaut wird. Gemäß § 1 I S. 1 BetrAVG ((Gesetz der betrieblichen Altersversorgung (bAV) (Betriebsrentengesetz – BetrAVG)) handelt es sich um eine bAV, wenn einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses zugesagt werden. Durch die Absicherung biometrischer Risiken unterscheidet sie sich von einer reinen renditeorientierten Kapitalbildung. Zur Durchführung der bAV stehen fünf Durchführungswege zur Verfügung:

Hinsichtlich der Leistungsplangestaltung stehen drei Formen der Zusage zur Auswahl:

  • Leistungszusagen,
  • beitragsorientierte Leistungszusagen und
  • Beitragszusagen mit Mindestleistung.“

Wer über die Betriebsrente redet, muss automatisch über die anderen Formen der Altersvorsorge reden und über das Drei-Säulen-Modell. Gabler schreibt dazu, „die bAV zählt zur 2. Schicht der Altersversorgung, der Zusatzversorgung. Sie ist grundsätzlich eine freiwillige Sozialleistung (im Gegensatz zur 1. Schicht, der Basisversorgung, dazu gehören die gesetzliche Rente oder dieser gleichgestellte Renten) aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses, ausgelöst durch ein biologisches Ereignis mit Versorgungscharakter oder Versorgungszweck, und wird vom Staat gefördert (im Gegensatz zur rein privaten Vorsorge der 3. Schicht).“ Gabler verweist darauf, dass „die bAV auch rein arbeitnehmerfinanziert sein kann (Entgeltumwandlung).“

Ganz schön schwierig. Betriebsrente = betriebliche Altersversorgung, betriebliche Altersversorgung = Betriebsrente, verschiedene Durchführungswege, Drei-Säulen-Modell.

Das Drei-Säulen-Modell

Apropos Drei-Säulen-Modell, ein und dieselbe Kapitallebensversicherungspolice kann zum einen betriebliche Altersversorgung oder Betriebsrente sein und private Altersversorgung. Wie? Na, ganz einfach – oder kompliziert. Angenommen, jemand hat über den Arbeitgeber eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen. Der Arbeitgeber ist dabei der Versicherungsnehmer, der Beschäftigte Begünstigter – so steht’s im Vertrag. Weiter angenommen, dieser Beschäftigte verliert den Job oder kündigt, dann kann er seine Kapitallebensversicherung, die auch wegen dieser Konstruktion Betriebsrente oder betriebliche Altersversorgung heißt, privat besparen. Die Police bleibt dieselbe, nur die Versicherungsnehmereigenschaft geht vom Betrieb als Versicherungsnehmer auf den Begünstigten, sprich den vormaligen Arbeitnehmer über. Aus der betrieblichen Altersversorgung ist somit eine private Altersversorgung geworden – die Kapitallebensversicherung ist mutiert – und von der zweiten in die dritte Schicht gerutscht.

Um es noch etwas komplizierte zu machen: Eine „unechte“ Betriebsrente oder private Altersversorgung kann wieder zur echten Betriebsrente mutieren, wenn der Privatzahler eine Anstellung findet und der neue Arbeitgeber anstelle des bisherigen Arbeitgebers als Versicherungsnehmers in den Kapitallebensversicherungsvertrag eintritt, was aus der privaten Kapitallebensversicherung wieder eine Direktversicherung macht.

Echte oder unechte Betriebsrente?

Was das für Folge hat? Gravierende! „Wer eine Direktversicherung nach Ausscheiden aus dem Job privat bespart, zahlt später nur für die echte Betriebsrente Krankenkassenbeiträge“, erklärt „Finanztip“. Das heißt, alle Beiträge, die jemand nach Ausscheiden aus dem Job privat in seine Kapitallebensversicherung – oder unechte Betriebsrente – einzahlt, sind komplett beitragsfrei. Für diesen Anteil zahlt er keine Krankenkassen- und Pflegebeiträge, für seine „echte“ Betriebsrente jedoch die vollen Beiträge.

Was ist die Direktversicherung, die ja eines der fünf Durchführungswege der bAV ist? Laut „Haufe“ besteht die  „Direktversicherung nach der Legaldefinition des § 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG darin, dass der Arbeitgeber zum Zweck der betrieblichen Altersversorgung eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers abschließt und diesem oder dessen Hinterbliebenen ganz oder teilweise die (widerrufliche oder unwiderrufliche) Bezugsberechtigung für die Leistungen aus dieser Lebensversicherung einräumt“. Eine Direktversicherung ist also nichts anderes als eine Kapitallebensversicherung, die vom Arbeitgeber abgeschlossen wird mit dem Arbeitnehmer als Begünstigten. Und jetzt wird’s spannend: Ist der Arbeitnehmer selbst Versicherungsnehmer, wie gerade beschrieben, so handelt es sich dabei weder arbeits- noch ein steuerrechtlich um eine Direktversicherung, auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer beispielsweise die Prämien zahlt oder ihm dafür Zuschüsse zum Lohn gewährt.

Steuer- und Sozialrecht

Und weil das immer noch nicht kompliziert genug ist, hat der Gesetzgeber noch eines daraufgesetzt, in dem er bei der Betriebsrente, pardon betrieblicher Altersversorgung, zwischen Steuer- und Sozialrecht unterscheidet. Direktversicherungen, die vor der Einführung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) am 1. Januar 2004 abgeschlossen worden waren, wurden nach § 40b des Einkommensteuergesetzes (EstG) pauschal besteuert, aber nur einmal, sprich in der Einzahlphase. In der Auszahlphase muss der Direktversicherte keine Steuer mehr zahlen. Die Macher der Sozialgesetzes sehen das indes anders und belasten Direktversicherte doppelt – in der Ein- und Auszahlphase. Als der Gesetzgeber das GMG rückwirkend einführte, gewährte er weder Vertrauensschutz noch ließ er einen Übergangszeitraum zu. Für die vor 2002 abgeschlossenen pauschal versteuerten Kapitallebensversicherungen fielen bis Inkrafttreten des GMG am 1. Januar 2004 keine Krankenkassenbeiträge auf die Kapitalleistung an. Seitdem jedoch müssen Direktversicherte dank einer Änderung des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V (SGB steht für Sozialgesetzbuch)volle Beiträge zahlen: „Waren solche Kapitalleistungen bis dahin nur dann beitragspflichtig, wenn sie nach Beginn einer Rente vereinbart wurden (also praktisch die Rente abgefunden wurde), sind diese Kapitalleistungen ab 2004 auch dann beitragspflichtig, wenn sie schon vor Eintritt des Versicherungsfalles (‚originär‘) vereinbart wurden“, wie Dr. Markus Raulf, Syndikus des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schreibt. Darüber hinaus sei mit dem GMG zeitgleich auch noch der Beitragssatz auf die bAV-Leistungen verdoppelt worden. Sprich, egal, ob jemand eine Betriebsrente bekommt oder eine einmalige Geldleistung aus seiner Kapitallebensversicherung – er zahlt immer den vollen Beitrag.

Die Gelackmeierten sind vor allem jene Arbeitnehmer, die “echte Eigenbeiträge” gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG aus bereits versteuertem und verbeitragtem Entgelt, sprich aus dem Netto eingezahlt hatten. Sie zahlen doppelt Beiträge. Doppelt zahlen auch solche Alterssparer mit einem Gehalt oberhalb der 40b-Grenze.

Betriebsrentner dürfen geschröpft werden

Aber wie gesagt, das interessiert den Sozial-Gesetzgeber nicht. Er sagt, die Beitragslast wäre gerechtfertigt und geboten, um die Rentner “in angemessenem Umfang an der Finanzierung der auf sie entfallenden Leistungsaufwendungen zu beteiligen”. Sie werden von den obersten Verfassungsrichtern in dieser Meinung bestätigt. Dass das dem Solidarprinzip widerspricht, ist dem Gesetzgeber wurscht. Es sei “daher ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht noch höher werden zu lassen”. Dabei haben die heutigen Rentner bereits damals ihre Beiträge geleistet.

Misstraut dem Staat

Doppelverbeitragung, Vertrauensbruch und Rückwirkung sind auch verfassungsrechtlich gedeckt. Die Verfassungsrichter machen es sich einfach: Sie sagen, der Bürger dürfe sich in punkto Sozialrecht nicht auf Vertrauensschutz verlassen. Die Verbeitragung sei mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. „Die Belastung dieser Leistungen mit dem vollen allgemeinen Beitragssatz beurteile sich nach den Grundsätzen über die unechte Rückwirkung von Gesetzen, denn die angegriffene Regelung greife mit Wirkung für die Zukunft in ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis ein und gestalte dies zum Nachteil für die betroffenen Versicherten um“, so Raulf. Solche Regelungen seien verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und entsprächen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiege. Auf gut Deutsch, Sozialrecht darf alles, wenn es dem Gemeinwohlinteresse dient. Die Versicherten hätten, so Raulf weiter, nachdem der Gesetzgeber bereits im Jahr 1981 laufende Versorgungsbezüge in die Beitragspflicht einbezogen habe, in den Fortbestand der Rechtslage, welche die nicht wiederkehrenden Leistungen gegenüber anderen Versorgungsbezügen privilegierte, nicht uneingeschränkt vertrauen dürfen. Heißt auf gut Deutsch: Misstraut dem Staat. Übergangsregelungen seien verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen, vor allem auch deshalb, weil bei der Einmalzahlung von Versorgungsbezügen den Versicherten schon am Anfang der Belastung die gesamte Liquidität zur Tragung der finanziellen Mehrbelastung zur Verfügung stehe. Heißt auf gut Deutsch: Seid froh, dass ihr einen Batzen Geld bekommen habt, den Betriebsrentner wird das Geld bis ans Lebensende abgeknöpft.

Abnehmende Akzeptanz der Altersvorsorge

Nach dem massiven Vertrauensbruch und angesichts des dramatischen Verfalls der Renditen von Direktversicherungen hat die Bundesregierung ein gewaltiges Problem, wie Prof. Dr. Stefan Sell analysiert. „Neben der grundsätzlichen Skepsis gegenüber kapitalgedeckten Alterssicherungsformen, zu denen auch die Betriebsrenten gehören, kommt der vielfach beschriebene Vertrauensverlust aufgrund der ‚Doppelverbeitragung‘ bei Betriebsrenten hinzu, der seinen Ursprung hat in dem ‚Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung‘ der damaligen rot-grünen Bundesregierung, das 2004 in Kraft trat und auch rückwirkend eine vorher nicht vorhandene Belastung von Betriebsrentnern eingeführt hat, was verständlicherweise eine Menge Empörung generiert hat.“ Ändert die Bundesregierung nichts an der Abzocke der Betriebsrentner, verliert diese Form der Altersversorgung an Akzeptanz – mit weitreichenden Folgen.

 

Bild von RAEng_Publications auf Pixabay