Wähler mit Textbausteinen abgespeist

Wähler mit Textbausteinen abgespeist

Wer Politiker anschreibt, bekommt meist Textbausteine zurück – auf diesen Nenner lässt sich die Kommunikation zwischen Wählern und Politikern bringen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Viele Bürger schreiben in gutem Glauben, etwas zu bewirken, ihre Bundestagsabgeordneten an. Wer das häufiger unternimmt, dürfte irgendwann feststellen, dass sich ganze Passagen immer wieder gleichen. Da drängt sich der Verdacht auf, dass sich Politiker von ihren wissenschaftlichen Mitarbeiter eine Sammlung von Textbausteinen zusammenstellen lassen, die dann zusammengewürfelt werden. So entstehen manchmal vernünftige, durchaus plausible, aber manchmal auch abseitige Texte. Damit speisen die Bundestagsabgeordnete ihre Wähler ab – und glauben, sie so ruhig stellen zu können.

Mit Textbausteinen Wähler abspeisen

Vornehm klingt so etwas dann „Argumentationshilfe“. Der CSU-Politiker Max Straubinger ist ein Meister darin. Für seine Fraktionskolleginnen und -kollegen im Bundestag hatte er im Juni 2019 die Argumentationshilfen für eine Verbeitragung von Direktversicherungen und betrieblicher Altersversorgung (BAV) zu Papier gebracht. Mit der Struktur der Versichertenzusammensetzung versuchte und versucht Straubinger dann seine Bundestagskollegen zu überzeugen, dass finanziell schlechter gestellte Bevölkerungsschichten den Beitragsausfall der – so wörtlich – „leistungsfähigeren Rentner“ mittragen müssten. Und natürlich unterstreicht er auch immer wieder, dass die Regelungen von Bundesverfassungsgericht und Bundessozialgericht abgesegnet sind. „Wollen wir wirklich die Beitragsleistungen zu Lasten der jungen erwerbstätigen Generation verschieben“? fragt er im Juni 2019 res seine Fraktionskollegen. Andere Lösungen werden schon gar nicht ins Auge gefasst. Er führte seinen Bundestagskollegen bei einer Abschaffung der Doppelverbeitragung ein Milliardenspiel vor Augen, das nicht finanzierbar sei. Wie schnell der Bund mal kurz hunderte Milliarden aus dem Hut zaubert, das wurde uns jetzt zu Corona-Zeiten auf eindrückliche Weise vorgeführt.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten greifen natürlich gern auf derartige „Argumentationshilfen“ zurück und gestalten daraus ihre Textbausteine, denen sich die Politiker nur allzu gern bedienen.

Was Politiker über Wähler denken

DVG-Mitglied Erwin Tischler durfte erfahren, wie Abgeordnete und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter über die Wähler denken. Tischler bekam zufällig den Dialog zwischen André Berghegger uns seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Alexander Averhoff mit. Berghegger (CDU) ist Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestags. Berghegger fragt, ob „wir jetzt eigentlich noch in irgendeiner Form reagieren oder ist das nur ein immer wiederkehrenden Appell?“. Und Averhoff antwortet, dass „er (Tischler) seit 2016 regelmäßig zu dem Thema schreibt; der Verband der Direktversicherungsgeschädigten mobilisiert aktuell seine Mitglieder und macht Druck auf Abgeordnete“ – und weiter „ … also ich kann ihm gerne was allgemeines antworten, ohne inhaltlich verbindlich zu sein, gucken wie er reagiert“. Tischler dürfte dann eine „allgemeine“ Antwort bekommen, die vergleichsweise unverbindlich ist.

Politik per Maßnahmen-Generator

Leider geht es nicht nur Direktversicherungsgeschädigten so, sondern vielen anderen Bürgern ebenfalls im Kontakt mit ihren Abgeordneten. Das Netz macht sich bereits lustig über diese Art der Kommunikation. Voice Actor, Übersetzer und Storyteller Doreaux @zwetkoffein und Web-Entwickler Nick @NickHatBoecker haben einen Corona-Maßnahmen-Generator entwickelt, weil sie das Gefühl haben, als „würde einfach jedes Mal ein zufälliger Vorschlag gezogen und das dann umgesetzt“, wie die „PC-Welt“ schreibt. Zu finden ist der „Corona-Maßnahmen-Generator“ in Twitter unter dem Hashtag

#maßnahmengenerator. Der wirft jeweils vorformulierte Textbausteine aus verschiedenen Kategorien zusammen – manchmal klingt das sogar vernünftig. Aktuelles Beispiel: „Die Bundesregierung beschließt, Kaufhäuser mit ausgearbeitetem Hygienekonzept nur mit Terminvergabe arbeiten zu lassen“ oder „Die Bundesregierung beschließt, Fitnessstudios nur mittags zu schließen“ oder „ … Fabriken sofort zu schließen“ oder „ … Schlachthöfe abends zu öffnen“. Jeder kann sich selbst mit dem Corona-Maßnahmen-Generator vergnügen. Viel Spaß beim Boßeln. Wenn es nicht so traurig wäre, könnten wir auch darüber lachen.

Willkür als System

Was die Beispiele Doppelverbeitragung von Direktversicherungen und Corona-Maßnahmen belegen: Oft greift die Bundesregierung zu reinen Willkürmaßnahmen, die mit vermeintlich plausiblen Argumenten unterfüttert werden. Es lohnt sich, selbst zu denken und diese Maßnahmen zu hinterfragen. Das muss nicht nur erlaubt sein, sondern ist auch zwingend notwendig. Direktversicherung und Corona-Maßnahmen sind nur zwei Beispiele.

 

Bild von Esi Grünhagen auf Pixabay