Christlich oder “only Cash”? Was Rentner vom neuen CDU-Grundsatzprogramm erwarten dürfen

Linnemann

Von Reiner Wellmann …

Das sollte wohl eine Bescherung in eigener Sache kurz vor Weihnachten sein:  Im funkelnden Blitzlichtgewitter legte CDU-General Carsten Linnemann jetzt im Konrad-Adenauer-Haus den Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der Union vor. Und er schwärmte: „Mit unserem Grundsatzprogramm bieten wir den Menschen Orientierung!“ Der 46-jährige verweist auf das christliche Menschenbild, das nach wie vor Richtschnur der Christdemokraten sei. Das C sei die DNA der Partei. „Wir wollen die Eigenverantwortung stärken, vertrauen den Menschen und entscheiden nicht über ihre Köpfe hinweg“, diktiert der CDU-General der Presse in die Schreibblöcke.

Der Rentner liest dies –  wundert sich und staunt. Erst Recht, wenn er 45 Jahre Mitglied dieser Partei war. 2019, als er sich bei der Auszahlung der privaten Altersvorsorge enteignet und über den Tisch gezogen fühlte – möglich gemacht hatte es im Jahr 2003 ausgerechnet seine CDU – hatte er aus großer Enttäuschung die Parteimitgliedschaft gekündigt.

Er wundert sich aber auch, da er in den vergangenen Monaten einen regen Mailverkehr mit dem Büro des CDU-Generalsekretärs hatte. Denn in dem Wissen um den Plan, ein neues Grundsatzprogramm aufzustellen, hatte er Carsten Linnemann gefragt, wie sich das christliche Menschenbild und die daraus abzuleitenden Leitplanken politischen Handelns mit den Tatbeständen aus dem Jahr 2003 vereinbaren ließen. Vertrauensbruch und quasi Teilenteignung durch rückwirkende Eingriffe in langjährige Verträge, Heimtücke wegen fehlender Vorwarnzeit und der Möglichkeit, sich darauf einzustellen und reagieren zu können, Verstoß gegen den Grundwert der Solidarität, weil nur die Gruppe der gesetzlich Versicherten zum Beispiel für die Krankheitskosten der Bürgergeldempfänger (vorher Hartz IV) aufkommen müssen, die Privatversicherten an dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe nicht beteiligt werden – um nur einige der Punkte aufzuzählen, die sich absolut nicht mit den Ansprüchen eines christlichen Menschenbildes vereinbaren lassen. Pater Oswald von Nell-Breuning, der Begründer der katholischen Soziallehre, würde sich im Grabe umdrehen, müsste er diese absurde Verdrehung seiner Ideen noch miterleben!

Der Rentner hat dem Generalsekretär sogar eine Brücke gebaut. Denn das christliche Menschenbild kennt auch die Begriffe der Einsicht in das eigene Fehlverhalten, der Reue, Buße und Umkehr. Eigentlich war die CDU dabei auf einem guten Weg, denn beim Hamburger Parteitag wurde im Jahr 2018 einstimmig beschlossen, die so genannte Doppelverbeitragung bei den Direktversicherungen abzuschaffen. Die Basis hatte also wohl ein feines Gespür für die Dinge und hat die Umkehr in die Wege geleitet. Leider hat sich die  „Vereinsführung“ aber geweigert, dieses Votum des höchsten Beschlussgremiums der Partei umzusetzen.

Buße hat die CDU schon geleistet, denn sie wurde im Jahr 2021 abgewählt. Aber bis heute sind bei der Clubführung weder Reue für die hinterhältig eingeführte millionenfache Abzocke erkennbar, noch der Wille zur Umkehr – beim christlichen Menschenbild eine ganz entscheidende Prämisse. Die Führung der Partei ist offenkundig nicht gewillt, diesen eklatanten Verstoß gegen die aus dem christlichen Menschenbild abgeleiteten eigenen Anforderungen zu korrigieren.

Der Generalsekretär ließ dem oben erwähnten Rentner nach einem dreimonatigen Mailaustausch über einen Referenten des Parteivorstandes einen Baustein aus dem „Nervige-Wählernachfragen-Abwimmelbaukasten“ zuschicken. Darin verweist er auf den Freibetrag von 169,75 Euro. Und schiebt wörtlich hinterher: „Viele in der CDU sind sich bewusst, dass das nicht die gewünschte Lösung für alle Betroffenen ist, es ist aber eine erhebliche Verbesserung. Darüberhinausgehende Entlastungen können zum heutigen Zeitpunkt nicht versprochen werden. Es wäre zumindest unseriös, wenn wir es als CDU Deutschlands täten, angesichts der derzeitigen Haushaltslage“.

Damit ist klar: Im Konrad-Adenauer-Haus hat man die Rentner, die seit Jahrzehnten den Vorschlägen der Politiker gefolgt sind privat für das Alter vorgesorgt haben, abgehakt. Wie hatte der CDU-General bei der Vorstellung des neuen Grundsatzprogramms noch gesagt: „Wir wollen die Eigenverantwortung stärken, vertrauen den Menschen und entscheiden nicht über ihre Köpfe hinweg“. Der Rentner liest es, denkt über das christliche Menschenbild nach, und fühlt sich – gelinde gesagt – veräppelt. Die Marketingstrategen haben das C im Parteinamen hübsch angestrichen, sozusagen ein „hohes C“ konstruiert, ohne zu beachten, dass die „Christlichen“ eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden.

Das C steht für „Cash“ – das steht zumindest für viele Millionen Direktversicherungsgeschädigte fest.  „Wir entscheiden nicht über die Köpfe der Menschen hinweg!“ Das werden wir uns merken!

In diesem Sinne – und durchaus christlich gemeint:

„Frohe Weihnachten, Carsten Linnemann!“