Man kann sich darüber streiten: wer hat die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in die Sackgasse bugsiert? War es die Politik – oder waren es die Krankenkassen gar selbst. Wie üblich liegt die Wahrheit wahrscheinlich in der Mitte. Ein großer Aufreger dabei: der Bundestag hat für dieses Jahr eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge beschlossen. Grund: die Gesetzlichen Krankenkassen kommen mit ihren Beiträgen ausgerechnet jetzt in Krisenzeiten nicht über die Runden, und fast alle Beitragszahler dürfen dabei die Zeche bezahlen. Und wieder einmal trifft es am härtesten die kleinen Beitragszahler und die Rentner.
Von Thomas Kießling
Es gibt sie schon seit 2004, die große Ungerechtigkeit der Doppel- und Mehrfachverbeitragung. Davon betroffen sind die Mitglieder vom DVG – Verein der Direktversicherungsgeschädigten und aktuell weitere 6,3 Millionen Rentner sowie nochmals 6,5 Mio. Bezieher von Betriebsrenten. Sie zahlen nach Untersuchungen pro Jahr geschätzt rund 1,5 Milliarden Euro zu viel und ungerechtfertigt in die GKV ein – immer noch 1,5 Mrd. Euro, möchte man sagen, obwohl die Geschädigten seit dem GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz seit Januar 2020 (Freibetrag aktuell bei 169,75 Euro) bereits um 1,2 Mrd. Euro im Jahr entlastet wurden.
Doch jetzt kommt es mit der Beitragserhöhung dicke: Der Bundestag hat am 20. Oktober 2022 für Anfang 2023 ein Finanzpaket zum Ausgleich eines Milliardendefizits der gesetzlichen Krankenkassen beschlossen. Und das sieht von den allermeisten Krankenkassen auch eine deftige Beitragsanhebung/Zusatzbetrag vor.
Unter anderem steigt der durchschnittliche Beitrags-Satz um rund 0,3 Punkte. Der KV-Gesamtbeitrag klettert damit im Schnitt auf 16,2 %. Zusätzlich, und das betrifft alle Steuerzahler und uns versicherte Beitragszahler also nochmals: ein Zuschuss des Bundes von zwei Milliarden Euro, sowie auch ein Abbau von Finanzreserven bei den GKV-Kassen („aha, hatten die also noch Reserven“) und Beiträge von der Pharmaindustrie und Apotheken („sehr löblich, glauben wir aber erst, wenn wir dies sehen“) – Quelle dpa, 20. Okt. 2022.
Hintergrund – das Minus in der GKV wächst unaufhörlich
Seit zwei Jahren ist die GKV nun ins Minus gerutscht und erwartet für das laufende Jahr (2023) ein Mammut-Defizit von 17 Milliarden Euro. Grund dafür sei die hohe Inflation, die auch die Preise für Sachkosten und Personal im Gesundheitswesen in die Höhe treibe. Dieses Argument kann man ja in irgendeiner Form immer vorbringen. Aber außerdem würden die Fremdleistungen für die Zuschüsse zu Hartz IV und die KV-Beiträge für die Mütterrente oder für die Migranten ins Feld geführt (so genannte Fremdleistungen) – und dabei ganz aktuell die hohe Flüchtlingswelle aus der Ukraine. All das soll von den normalen Beitragszahlern aus der unteren und der mittleren Schicht der Gesellschaft und von den Rentnerinnen und Rentner übernommen werden.
Dabei ist die Versorgung der Bürgergeld-, Hartz IV- und Sozialhilfeempfänger eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller Bürger in diesem Lande, also auch der Politiker, Beamten und Selbständigen.
DVG war einer der Hauptzahler des GKV-Systems
Die Direktversicherten und die Betriebsrentner sind seit 2004 aufgrund des perfiden GMG, dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz, mit einem zusätzlichen ungerechtfertigten „Jahresbeitrag“ von 1,5 Milliarden Euro einer der zusätzlichen Hauptzahler des GKV-Systems. Zum Beweis und auf Grundlage von Statista.de haben sie das Defizit aufgefangen und von 2016 bis 2018 für die GKV sogar ein Plus beschert: von rund 2 Milliarden Euro pro Jahr
(Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/219867/umfrage/ueberschuss-und-defizit-der-gesetzlichen-krankenkassen-seit-2000/#:~:text=Die%20Statistik%20zeigt%20die%20Entwicklung,6%2C74%20Milliarden%20Euro%20verbuchen).
Eigentlich nicht die Aufgabe des DVG, aber wir rechnen gerne richtig und lösen das Problem. Hier unsere Vorschläge/Forderungen:
Wegfall der Doppelstrukturen im Gesundheitswesen (gesetzlich/privat versichert) allgemein sowie parallel in der Altersversorgung (Rente/Pensionen)
- Wegfall von unzähligen und überbezahlten Krankenkassen, die – oho – zu 95 % sowieso die gleichen Leistungen erbringen. Derzeit gibt es noch 97 gesetzliche und rund 50 private Krankenkassen. Diese haben im Schnitt mindestens 2 Vorstandsmitglieder – beide Jahressaläre zusammengerechnet liegen bei rund 550.000 €, macht bei insg. 147 Krankenkassen Gehälter von rund 162 Millionen Euro Ausgabe – allein an die Vorstände!
- Übrigens: andere Länder kommen mit weit weniger Krankenkassen aus, z.B. gibt es in Dänemark, Spanien, Slowenien und Polen nur je eine, 3 in der Slowakei, 4 in Israel und 7 in Tschechien. In Großbritannien, Portugal und Italien wird die Gesundheitsversorgung gleich aus Steuergeldern finanziert – auch nicht zum Wohle der Nation, wie man hört.
- Eine Bürgerversicherung jeweils für das Gesundheitswesen (wie auch für die Rente), das wäre mal gerecht – man kann übrigens dieses System bequem aus Österreich (oder aus Schweden) übernehmen. Dazu plant der DVG e.V. im Frühjahr dieses Jahres zwei Symposien, um Öffentlichkeit und Politik zu informieren und aufzuklären.
- Jeder zahlt ein, und jeder erhält Leistungen – Punkt, aus! Denn heute zahlt bei Beamten der Dienstherr (Bund, Länder und Gemeinden), also wir alle, die Bürgerinnen und Bürger, die Hälfte der KV-Kosten für diese Personengruppe.
Warum schlagen wir Alarm? Weil die GKV-Spitzen Alarm schlagen!
Ein Kommentar:
Von Thomas Kießling
Wir einfachen Beitragszahler und Rentner dürfen bei der aktuellen Forderung nach GKV-Beitragserhöhungen nicht unter die Räder kommen, unsere Forderungen müssen berücksichtigt werden. Es darf nicht sein, dass die Beiträge eingespeist werden in ein uferlos werdendes Loch der GKV. Das Gesundheitssystem hat sich in eine Sackgasse manövriert.
Da werden DVG-Mitglieder und Betriebsrentner automatisch mehrfach verbeitragt, nicht nur doppelt. So viele Sonderhaushalte kann nicht mal die „Manschettenknopfpartei“ FDP kreieren, geschweige denn stopfen: Parteichef und Finanzminister Lindner ist gefordert – ebenso das Sozialministerium und das für uns bislang zuständige Gesundheitsministerium.
Die Forderungen des DVG sind eindeutig
– sofortiger Stopp der Mehrfachverbeitragung
– Halbierung der KV- und PV-Beiträge von Betriebsrenten auf
den Arbeitnehmeranteil
– Gleichstellung der Direktversicherung mit der Riester Rente – also beitragsfrei
– Finanzielle Entschädigung für die Betroffenen, in deren „Verträge vor 2004″ mit dem GMG rückwirkend eingegriffen wurde
Liebe Politik, macht endlich was, denn bald kommen die Babyboomer in Rente – mit unzähligen Direktversicherungen und Betriebsrenten – da fliegt Euch das ganz System in den nächsten Jahren so was von um die Ohren.
Der Bundeskanzler hat nun jüngst Ende Januar 2023 in einer aktuellen Stunde im Bundestages auf eine Anfrage des Abgeordneten Matthias W. Birkwald ( Die Linke) erklärt, die Doppelverbeitragung werde noch in dieser Legislaturperiode beendet. Wir sagen: gut so, endlich – und fragen: wann konkret?“
Texte: Thomas Kießling Fotos von pixabay