Phalanx gegen Sparer

Politik, Versicherern und Industrie bilden eine Phalanx gegen Vorsorgesparer. Versicherer und Industrie sind die Gewinner, Sparer die Verlierer. Diesen Eindruck bekam, wer die Vorträge auf der Konferenz „Zukunftsmarkt Altersvorsorge 2021“ aufmerksam verfolgte.

Von Reiner Korth

Am 2. und 3. März 2021 trafen sich Politiker, Versicherer und Industrielle auf der Branchen-Konferenz „Zukunftsmarkt Altersvorsorge 2021“. Reiner Korth, stellvertretender Bundesvorsitzender DVG, hat sich die Vorträge angehört und die Diskussion verfolgt. Hier sein Bericht:

Wie geht’s weiter mit der Altersvorsorge?

Wie der Titel schon aussagt, beschäftigten sich die Vorträge mit der grundsätzlichen Fragestellung, ob und in welchem Umfeld für das Thema „Altersvorsorge“, sowohl der betrieblichen als auch der privat finanzierten, weiterhin noch ein „Markt“ vorhanden ist – um neue Versicherungsabschlüsse und Verträge generieren zu können – und wie dieser zu gestalten ist unter Berücksichtigung von Minizinsen, staatlicher Förderung und staatlichen Abgaben, wobei über letzteres jedoch ungern geredet wurde. Die Rede ist von den annähernd 20 Prozent Sozialabgaben, die allein vom Versicherten zu tragen sind.

Die Referenten kamen aus der freien Wirtschaft (Evonik, Bosch), aus der Finanzindustrie (Targo Bank, Aeiforia, Willis Towers Watson, Finanztip), aus Verbänden (BVI, BDA, Pension-Sicherungs-Verein, Bund der Versicherten, Bundesverband Verbraucherzentrale, GDV ) und aus staatlich, politischen  Institutionen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesministerium für Finanzen, Deutsche Rentenversicherung DRV, MIT, OECD). Teilnehmer an den verschiedenen Podiumsdiskussionen waren Politiker aller Parteien, darunter Matthias Birkwald von den Linken, Peter Weiß (CDU/CSU), Markus Kurth (Grüne), Johannes Vogel (FDP) und Jörg Meuthen (AfD).  Gefehlt hat wohl ein politischer Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit – genau dieses Bundesministerium ist wegen der 20-prozentigen Kranken- und Pflegebeiträge auf Betriebsrenten und Direktversicherungen der größte „Renditekiller“ im Markt Altersvorsorge ist. Die Diskussion wurde zu großen Teilen von Versicherungsmathematikern und Demographie-Statistikern beherrscht.

Zukunftsmarkt Altersvorsorge
Live in der Konferenz Zukunftsmarkt Altersvorsorge (li) Johannes Vogel (FDP), (re)Matthias Birkwald (Linke) Bild: MCC

Phalanx aus Politik, Versicherern und Industrie

Während der Veranstaltung hat sich mein Eindruck verfestigt, dass es eine Allianz zwischen Politik, Versicherungswirtschaft und Industrieunternehmen gibt. Die Politik ist froh, dass es einen Markt „betriebliche und private Altersvorsorge“ gibt. Darauf kann sie verweisen – und sich rausreden – , wenn es um das „Rentenniveau“ der gesetzlichen Rente geht, das mit 48 Prozent eines der niedrigsten ist im europäischen Vergleich. Das spielt der Versicherungswirtschaft in die Hände, die sich über neue Verträge, Umsatz und Geschäfte freut.

Aber auch den Industrieunternehmen kommt die jetzige Situation zugute, sparen sie doch bei der Entgeltumwandlung Sozialabgaben. Bewerber ködern sie mit „Direktversicherungen“ oder einem Pensionsfonds, wohl wissend, dass sie selbst davon profitieren. Den jungen Mitarbeitern ist zu dem Zeitpunkt noch nicht klar, dass die in Aussicht gestellte Betriebsrente brutto ausbezahlt wird, wovon später Steuern und Sozialabgaben weggehen – und zwar der Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Das heißt auf gut Deutsch: Was der Arbeitgeber jetzt an Sozialversicherungsbeiträgen spart, zahlt der Arbeitnehmer später in der Rente an Krankenkasse und Staat.

Intransparenz als Vorteil

Politik, Versicherungen und Industrie haben ein hohes Interesse, dass dieses zum Teil intransparente Finanzsystem weiter gut funktioniert, weil sie alle davon profitieren  – alleinig und einseitig zu Ungunsten und zu Lasten des Beschäftigten und Versicherten.

Aus dem Gesagten dürften klar werden, dass es für uns als DVG so schwer ist, diese Phalanx zu knacken.

Zahlen und Statements

Einige signifikante Statements und Zahlen aus den Vorträgen:

  • Die Verbreitungsquote der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) ist leicht rückläufig – von 54,6 auf 53,9 Prozent (Stand Dezember 2019)
  • Es existieren 15,2 Millionen BAV-Verträge in der Privatwirtschaft
  • und zusätzlich 5,8 Millionen Verträge Zusatzversorgung im Öffentlichen Dienst
  • von den 15,2 Millionen bAV-Verträgen in der Privatwirtschaft sind 5,2 Millionen „Direktversicherungen“  mit einem Kapitalvolumen von 68,6 Milliarden Euro
  • Insgesamt sind es 21,0  Millionen „Anwartschaften“, sprich Verträge bei 18,2 Millionen „Beschäftigten“ (Bezugsberechtigte) – Thema: kleiner Personenkreis mit mehreren Verträgen
  • Ergebnis der vom Bund eingesetzten Rentenkommission:
    – eine weitere „umfassende Verbreitung“ der betrieblichen und privaten Vorsorge ist notwendig,
    – die aktuell 16 Millionen Riesterverträge reichen nicht aus,
    – „Drohung“ des Endes der Freiwilligkeit bei mangelnder Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge besteht
    –  Einführung eines „Obligatoriums“ ab 2025 in Vorbereitung

Für alle, die nicht so sehr mit Verwaltungsdeutsch vertraut sind, hier meine Übersetzung: Wenn die Anzahl der Verträge und die Höhe der Kapitaleinlagen für die betriebliche und die private Altersvorsorge bis 2025 nicht weiter signifikant steigt, dann führt der Staat per Gesetz einen Zwang („Oligatorium“) zum Abschluss eines betrieblich/privaten Vorsorgevertrages für jeden Arbeitnehmer ein, zur zusätzlichen Absicherung seines Rentenniveaus im Alter. Das wird noch spannend.

 

Bild: iStock/ewg3D