Staat kassiert 40 Prozent der Altersvorsorge

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Der Staat kassiert mehr als 40 Prozent der Altersvorsorge. Die Richter finden das in Ordnung – was für ein Hohn.

Von Reiner Wellmann

Wie viel ist zulässig, wenn der Staat für eine als Altersvorsorge ausgezahlte Direktversicherung Steuern und Krankenversicherungsabgaben verlangt? Ein Viertel, ein Drittel, die Hälfte? Ist die Hälfte nicht zu viel? „Nein“, sagt das Finanzgericht Münster in einem jetzt veröffentlichten Fall aus dem Jahre 2020. Konkret: Wenn aus einer ausgezahlten Versicherung in Höhe von 23.407 Euro Steuern in Höhe von knapp 6000 Euro und Krankenversicherungsbeiträge von 4083,60 Euro festgesetzt werden, sprich 43 Prozent des Auszahlungsbetrages von Finanzamt und Krankenkasse kassiert werden – dann liegt noch keine erdrosselnde Wirkung vor. Eine neue Episode von „Stirb langsam“ im Sozialstaat BRD – mit dem kleinen Unterschied, dass es kein Happy End mit einem Bruce Willis gibt.

So kassiert der Staat ab

Aber der Reihe nach: Die Klägerin, die bis zu ihrem Ruhestand Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielte, bezog im Streitjahr 2012 Leistungen aus einer Direktversicherung in Höhe von 23.407 Euro. Mit Bescheid vom 10. März 2014 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2012 im Wege der Schätzung auf 5.966 Euro unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Es folgt eine lange Auseinandersetzung mit dem Finanzamt. Am Ende reduziert das Finanzamt die Steuerlast auf 5588 Euro. Die Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 4083 Euro bleiben in voller Höhe bestehen. Die Abzüge addieren sich auf 9607 – mehr als 40 Prozent. Das Geld ist weg. Die Klägerin war damit nicht einverstanden und klagte vor dem Finanzgericht Münster (Az 15 K 1271/16)

Aber selbst die Argumentation der Klägerin, dass ein Sparer für eine private Altersvorsorge doch mindestens die eingezahlten Beträge herausbekommen müsse, ließ das Finanzgericht Münster nicht gelten. „Nach der Berechnung des Gerichts mag der Abschluss der Direktversicherung im Vergleich mit den sich daraus ergebenden abgabenrechtlichen Folgen bei Wahl der Einmalzahlung eine schlechte Investition gewesen sein. Eine völlig unverhältnismäßig hohe Steuerlast und damit eine Verfassungswidrigkeit lassen sich indes nicht erkennen“, schreiben die Robenträger der Frau ins Stammbuch.

In die Vorsorgefalle getappt

Und dann wird es noch zynischer: „Soweit die Klägerin vorträgt, dass, wenn der Staat Versicherungsprodukte steuerlich fördere, dann müsse im Ergebnis auch mindestens das herauskommen, was man an Vermögen durch einfaches Ansparen hätte erzielen können und sie, die Klägerin, sich insoweit getäuscht fühle, kann dies seitens des Gerichts keine Herabsetzung der Steuer rechtfertigen. Für die steuerliche Beratung betreffend Altersvorsorgeversicherungen ist nicht der Staat, sondern ggf. das Versicherungsunternehmen oder beauftragte steuerliche Berater verantwortlich. Eine nachteilhafte Besteuerung, die auf einem Beratungsfehler beruht, ist im Wege zivilrechtlicher Haftungsverfahren diesen Personen gegenüber geltend zu machen. Eine schlechte steuerliche Beratung in diesem Zusammenhang ist sehr bedauerlich, kann aber für sich genommen nicht zur Verfassungswidrigkeit der Besteuerung führen“, heißt es in der Urteilsbegründung wörtlich. Mit anderen Worten: selbst schuld, in die Vorsorgefalle gelaufen – und hol dir das Geld in einem Zivilverfahren beim Steuerberater oder dem Versicherungsverkäufer zurück. Der Staat braucht seine Einnahmen. Basta!

Die Moral von der Geschicht’

Die Moral von der Geschicht‘ – trau Politikern und Richtern nicht. Deine Altersvorsorge ist schon verplant. Wenn es im Gemeinwohlinteresse ist, darf der Staat alle Vertrauensschutzprinzipien über den Haufen werfen. Ein Bruce Willis wie im Film „Stirb langsam“, der die Bösewichter in die Schranken weist, ist weit und breit nicht in Sicht.

 

Bild von Zhivko Dimitrov auf Pixabay