Grundrente

Die Grundrente soll Lebensleistung honorieren – dabei fahren einige schlechter damit als mit Grundsicherung. Ein weiteres Beispiel, wie uns die Politik verschaukelt und das Vertrauen in die Rente unterminieren.

von Helmut Achatz

Arbeitsminister Hubertus Heil behauptet in punkto Grundrente, „Frauen und Männer, die nur wenig Rente haben trotz eines langen Arbeitslebens, werden künftig spürbar mehr in der Tasche haben“. Ist das so? DVG-Mitglied Norbert Böttcher und andere Rentenexperten haben es mal durchgerechnet und widerlegen Heils Behauptung. Die SPD hat den Bürger wieder einmal einen Bären aufgebunden. Wer Pech hat, wird mit Grundrente weniger bekommen, als er mit Grundsicherung bekäme. Dabei war doch Heils Anspruch, dass die gerade verabschiedete Grundrente zehn Prozent über der Grundsicherung sein sollte. Er hat nur vergessen, der Öffentlichkeit zu sagen, dass von der Grundrente ja auch Krankenkassen- und Pflegebeiträge zu zahlen sind, so dass die Grundrente dann niedriger ausfallen kann als die Grundsicherung.

Aber lassen wir Norbert Böttcher und die Redaktion „Steuertipps“ zu Wort kommen: „Der Zahlbetrag der Grundrente wird 2021 bei 35 Beitragsjahren in allen Fällen zwischen 613 und 865 Euro liegen und damit vielfach unter der Grundsicherung von aktuell 808 Euro. Dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis hat mit den Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu tun. Die Grundrente ist wie jede Rente beitragspflichtig. Das heißt, von der erreichten Rente brutto und dem Zuschlag auf diese Bruttorente ist noch der Beitrag zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung abzuziehen, der von der Deutschen Rentenversicherung bei der Zahlung der gesetzlichen Rente direkt einbehalten wird. Im ersten Gesetzentwurf des Bundessozialministeriums zur Grundrente vom 21.5.2019 heißt es auf Seite 23 ausdrücklich: ‚Die Grundrente führt zu höheren Beiträgen in die gesetzliche Krankenversicherung und soziale Pflegeversicherung‘.

Grundrente versus Grundsicherung

Somit kommt es unterm Strich auf den Zahlbetrag der gesetzlichen Rente an und nicht auf die Bruttorente. Die neue Grundrente als eine Rentenleistung gemäß SGB VI (gesetzliche Rentenversicherung) darf nicht mit der beitragsfreien Grundsicherung gemäß SGB XII (Sozialhilfe) verwechselt werden. Die Grundsicherung ist im Unterschied zur Grundrente keine Rente, sondern eine Sozialhilfe oder Sozialleistung und verpflichtet das Sozialamt oder Grundsicherungsamt auch zur direkten Zahlung der Beiträge für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung an die zuständige Krankenkasse.

Daher ist lediglich ein Vergleich von Zahlbetrag der Grundrente mit der beitragsfreien Grundsicherung zielführend und sinnvoll. Leider wird auf diesen Vergleich in fast allen Publikationen (auch denen des Bundessozialministeriums) verzichtet, da die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nicht von der Grundrente brutto abgezogen werden. Dies führt dann zu irreführenden Ergebnissen. Tatsächlich wird der Zahlbetrag der Grundrente bei abschlagspflichtigen Frührenten noch niedriger liegen. Die Grundrente setzt im Unterschied zur Grundsicherung nicht das Erreichen der Regelaltersgrenze aus. Wer also als langjährig Versicherter mit 63 Jahren vorzeitig in Rente geht, muss mit einem Rentenabschlag rechnen. Beispiel: Wer 1958 geboren ist und 2021 als langjährig Versicherter mit 63 Jahren in Rente geht, muss einen Rentenabschlag von 10,8 Prozent einkalkulieren. Der Zahlbetrag der Grundrente sinkt nach 35 Pflichtbeitragsjahren und durchschnittlich 0,75 Entgeltpunkten dann sogar auf rund 772  Euro und liegt damit ganz sicher unter dem Grundsicherungsniveau.“

Soweit Steuertipps. Norbert Böttcher – auf seinem Blog Sozial-Info ist das auch zum Nachlesen – rechnet mit einer Grundsicherung von 850 Euro, was in Großstädten wie München die Regel ist. Bei der Grundsicherung kommt es auf Miete und Nebenkosten an, wie der VdK vorrechnet. Aber gut, nehmen wir Böttchers 850 Euro. Er kommt auf folgende Rechnung:

Grundrente brutto ≠ netto

Die Grundrente soll zehn Prozent über der Grundsicherung sein, das heißt

850 + 85 = 935 Euro.

Eine Grundrentnerin mit 28 Entgeltpunkten beispielsweise kommt auf einen ähnlichen Betrag von, sagen wir mal, 925,40 Euro.

Grundrente                               925,40 Euro
Krankenkassenbeitrag        – 67,55 Euro
Zusatzbeitrag                         –  4,63 Euro
Pflegebeitrag                         – 28,22 Euro
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Grundrente netto                824,99 Euro

Was von der Grundrente netto übrig bleibt

Was von der Grundrente weggeht                              Quelle: Norbert Böttcher

Das heißt, die Grundrentnerin bekommt weniger als eine Empfängerin von Grundsicherung. Gut, sie muss nicht zum Amt gehen und ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen legen, was bei der Grundsicherung verlangt wird, da sie auf die Bedürftigkeit abzielt.

Diese vermeintliche Wohltat wird Milliarden kosten, Geld, das anderswo fehlt. Es fehlt beispielsweise, um die berechtigten Forderungen der Direktversicherungsgeschädigten einzulösen. Sie werden seit 2004 vom Staat abgezockt, denn sie zahlen in der Renten mit dem Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil doppelte Versicherungsbeiträge – und das, obwohl viele schon in der Einzahlphase Beiträge gezahlt haben. Um sie wenigstens ein bisschen ruhig zu stellen, wurde, sozusagen als Beifang zur Grundrente, ein Freibetrag von 159,25 Euro eingeführt dank dessen Direktversicherte und Betriebsrentner monatlich annähernd 30 Euro an Beiträgen sparen. Bei vielen sind es sogar weniger als 30 Euro, wie Böttcher ausgerechnet hat.

Wie sich der Freibetrag auswirkt

Was der Freibetrag pro Monat bringt                         Quelle: Norbert Böttcher

Wie kommt die Politik überhaupt auf diesen Freibetrag? Auch das hat DVG-Mitglied Böttcher aufgedröselt. Der Freibetrag ist 1/20 der sogenannten Bezugsgröße in der Kranken- und Pflegeversicherung. „Die Bezugsgröße bildet das Durchschnittsentgelt in Deutschland aus dem vorletzten Kalenderjahr ab. In der Sozialversicherung wird sie für verschiedene Berechnungen genutzt. Für die Kranken- und Pflegeversicherung gelten bundeseinheitlich die West-Werte. Lediglich in der Renten- und Arbeitslosenversicherung wird nach West und Ost unterschieden“, erklärt die Techniker Krankenkasse.

Datenabgleich Finanzamt / Rentenkasse

Die Grundrente soll automatisch an die Personen überwiesen werden, die Anspruch darauf haben. Wirklich? Wie soll das funktionieren, wenn jemand keine Steuererklärung macht? Ist also ein Grundrentenberechtigter gar nicht beim Finanzamt gemeldet, so bekommt er auch keine Grundrente. Ganz schöner Murks, oder? Und noch etwas haben die Murkser vergessen: “Zudem muss eine elektronische Übermittlung aller nötigen Einkommensdaten durch die Finanzbehörden an die Deutsche Rentenversicherung erfolgen. Doch der elektronische Datenaustausch mit der Finanzverwaltung hakt bei Bestandsrentnern, die keine Steuererklärung abgegeben haben, weil ihr zu versteuerndes Einkommen unter dem Grundfreibetrag liegt oder in der Vergangenheit lag”, merkt die Plattform “Steurtipps” an.

Ferner bestehe bei den jährlich rund 1,6 Millionen Neurentnern das Problem in der zweijährigen Verzögerung des Datenflusses. “Wer 2021 Grundrente beantragen möchte, muss im Jahr 2020 seine Steuererklärung für 2019 abgegeben haben, denn die Finanzämter haben Informationen zum steuerpflichtigen Einkommen erst mit einem Zwei-Jahres-Verzug. Da jedoch das Einkommen nach dem Renteneintritt sinkt, wird bei der vorgesehenen Einkommensprüfung durch das zuständige Finanzamt und die Deutsche Rentenversicherung das Einkommen des Rentners voraussichtlich zu hoch eingeschätzt, sodass es möglicherweise keinen Rentenzuschlag gibt, obwohl eigentlich ein Anspruch besteht.”

Berechnung des Freibetrags

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So errechnet sich der Freibetrag        Quelle: Norbert Böttcher

Wegen der Grundrente muss die Deutsche Rentenversicherung ihre Verwaltung kräftig aufstocken. Heil schafft mit seiner Grundrente ein Bürokratiemonster. Die Kosten der Umsetzung der Grundrente werden auf „mehrere hundert Millionen Euro und damit mehr als 25 Prozent der Leistungsausgaben für die Grundrente betragen“, schreibt das „Handelsblatt“. Trotzdem sind SPD-Politiker, darunter der stellvertretende Vorsitzende der SPD Mayen-Koblenz, Staatssekretär Dr. Alexander Wilhelm, immer noch von Heils Grundrente überzeugt.

Und wie wird die Grundsicherung berechnet? Die Deutsche Rentenversicherung hat dazu ausführliche Informationen ins Netz gestellt.

Das Vergleichsportal Biallo hat einen Grundsicherungsrechner ins Netz gestellt, mit dem jeder ziemlich genau ausrechnen kann, wie viel ihm zusteht.

Abkehr vom Äquivalenzprinzip

Was noch schlimmer ist, Heil hat mit der Grundrente das Äquivalenzprinzip aufgegeben, wonach die Rente von der Höhe der Beiträge abhängt – und damit die Idee von Leistung und Gegenleistung. Es ist der „Abschied vom Äquivalenzprinzip“, wie die „Wirtschaftswoche“ schreibt. Heil vermischt das Führsorge- und Leistungsprinzip. Er hat es geschafft, das Vertrauen in die Rente nachhaltig zu unterminieren. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hat das an dem Beispiel von Frau Pech und Herrn Glück konkret durchgerechnet. Danach bekommt Frau Pech, obwohl sie in ihrem Leben 66 360 Euro mehr an Rentenbeiträgen als Herr Glück eingezahlt hat, am Ende nur 45 Euro mehr Rente. Ist das gerecht? Zudem plane Heil und Finanzminister Olaf Scholz (SPD), die Grundrente durch einen Griff in die Rücklagen der Sozialkassen finanzierbar wirken zu lassen. Ist das gerecht? Diese Reserven haben Millionen von Betriebsrentnern über 15 Jahre aufgefüllt, weil die SPD – zusammen mit Grünen und Schwarzen – 2004 das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) rückwirkend einführten, weswegen Betriebsrentner seitdem doppelte Krankenkassenbeiträge zahlen. Das Geld für die Grundrente stammt also im Wesentlichen von betrogenen Betriebsrentnern und Direktversicherten. Ist das gerecht?

Schluss mit der Sabotage der Altersvorsorge!

Unsere Position: Wofür der DVG steht! 

 

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay