Gebot

Wer noch nicht verstanden hat, was es mit der exponentiellen Ansteckungskurve des Corona-Virus auf sich hat, der möge die Legende vom weisen Brahmanen Sissa und dem indischen Herrscher Shihram nachlesen. Solidarität ist das Gebot der Stunde.

von Ingrid Grünberg-Rinkleff

Weil der sein Land in Not und Elend gestürzt hatte, ersann Sissa ein Spiel, in dem der König als wichtigste Figur ohne Hilfe anderer  Figuren und Bauern  nichts ausrichten kann: Die Rede ist von Schach. Um sich dafür zu bedanken, gewährte er dem Brahmanen einen freien Wunsch. Dieser wünschte sich Reiskörner: Auf das erste Feld eines Schachbretts wollte er ein Korn, auf das zweite Feld das Doppelte, auf das dritte wiederum die doppelte Menge und so weiter. Als sich Shihram einige Tage später erkundigte, ob Sissa seine Belohnung in Empfang genommen habe, musste er hören, dass der Rechenmeister die Menge der Körner noch nicht berechnen und der Vorsteher der Kornkammer die erforderliche Menge im ganzen Reich nicht aufbringen konnte.

exponentielles Wachstum

Die sich derzeit alle 2,2 Tage verdoppelnden Infektionszahlen veranschaulichen den Ernst der Lage. Niemand zweifelt mehr daran, dass es schlimm kommen wird, dass alle Anstrengungen darauf gerichtet sein müssen, ausreichend Intensivbetten und Beatmungsplätze aufzubauen und alle erdenklichen finanziellen Mittel und logistischen Kapazitäten in den Ausbau der Medizintechnik zu investieren. Die sich dahinter gigantisch aufbauende Krise, die dringend notwendige Stützung der Realwirtschaft, scheint eine kaum lösbare Aufgabe zu sein. Schon jetzt stehen unzählige Kleinunternehmer, Freiberufler und die wirklich Armen, die beispielsweise so dringend auf die nun allerorts schließenden Tafeln angewiesen wären, vor dem Nichts. Niemand mag sich über das jetzt schon reale Szenario hinaus vorzustellen, was passiert, wenn die erste systemrelevante italienische Bank fällt und mögliche Auswirkungen auf das gesamte Finanzsystem nicht auszuschließen sind.

Gebot der Stunde – Solidarität

Angesichts dieser existentiellen Krise, deren Ausgang sowohl für unser Land als auch für jeden einzelnen von uns völlig ungewiss ist, kann niemand mehr so weitermachen wie bisher. Jetzt ist Solidarität das Gebot der Stunde. Über die milliardenschweren staatlichen Hilfspakete hinaus erlebt das ganze Land eine Welle der Hilfsbereitschaft: Da werden Nachbarschaftsportale aufgebaut, private Hilfsdienste angeboten und abends auf Balkonen denjenigen applaudiert, die sich als Ärzte, Pfleger, Retter und sonstige Helfer für unser Gemeinwesen auch unter dem Risiko eigener Gefährdung für andere einsetzen. Egoismen, destruktive Kritik und Vorteilsdenken haben in dieser Zeit keine besonders gute Konjunktur. Denn es ist ernst, und es geht um Leben und Tod.

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In dieser Situation gebietet Vernunft, Anstand und Moral, dass wir unsere Forderungen ruhen lassen. Jetzt geht es erst einmal darum, Leben zu retten. Vor allem wir selbst gehören zusammen mit den chronisch Kranken zu der am meisten gefährdeten Altersgruppe. Solange weder ein Impfstoff noch ein wirksames Medikament gegen das Virus gefunden ist, schützen wir uns am besten durch selbst auferlegte Quarantäne. Das Gebot der Sicherheit zwingt uns, all unsere Aktivitäten zu unterbrechen. Und es wäre vermessen, jetzt Aufmerksamkeit für unser Thema zu fordern, während unzählige Menschen um ihre finanzielle Existenz, um ihre Gesundheit oder gar um das Leben ihrer Angehörigen bangen.

Die Welt wird nach der Krise eine andere sein. Hoffen wir, dass es eine bessere sein wird. Zweifelsohne aber werden wir darum kämpfen müssen.