Von wegen “pacta sunt servanda” oder Verträge sind einzuhalten. Wenn der Staat klamm ist, darf er seine Bürger entschädigungslos enteignen. Das hat er schon mehrmals praktiziert, beispielsweise bei Direktversicherungen. Misstrauen ist angebracht.
Alle, die eine Direktversicherung haben, wissen wie wenig vertrauenswürdig der Staat ist. Die damalige rot-grüne Regierung unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder – mit aktiver Beihilfe von CDU/CSU – hat 2003 rückwirkend per Gesetz eingeführt, dass Millionen von Altersvorsorgern um annähernd 20 Prozent enteignete und immer noch enteignet. Alle Klagen liefen bis heute ausnahmslos ins Leere. Direktversicherte laufen vergeblich gegen den ihrer Meinung nach Bruch des Rückwirkungsverbots Sturm. Erst im Juli 2020 scheiterte der Rentner Herbert Heins in Kassel vor dem Bundessozialgericht (BSG) mit seiner Klage gegen den Vollbeitrag auf seine Direktversicherung. Das heißt, er muss auch weiterhin den doppelten Beitrag an die Kranken- und Pflegekasse zahlen, obwohl es bei Vertragsabschluss seiner Direktversicherung keine Beitragspflicht gab.
Misstrauen ist angebracht
Mit “pacta sunt servanda”, sprich Verträge sind einzuhalten, ist das so eine Sache. Die Techniker Krankenkasse (TK) – und gegen sie richtete sich Heins‘ Widerspruch – schreibt ihren Mitgliedern immer wieder, die gegen die Verbeitragung ihrer Direktversicherung widersprechen, „dass Regelungen mit Rückwirkung grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sind und dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip entsprechen, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt“. Das heißt im Umkehrschluss: Der Staat, in dem Fall der Gesetzgeber, darf per Sozialgesetz alles, auch rückwirkend enteignen – und er wird von den Gerichten darin bestätigt. Also, von wegen “pacta sunt servanda”. Da können die Geschädigten noch so viel klagen, es wird immer wieder darauf hinauslaufen, dass sie mit diesem Satz vor Gericht abgeschmettert werden.
Das Thema “Vertrauensschutz” ist selbst für Juristen ein kniffliges Problem, denn sie unterscheiden zwischen “echter” und “unechter” Rückwirkung. Davon leiten sie ab, ob es zulässig ist Verträge auch rückwirkend zu brechen. Patrick Birtel, Jahrgang 1985, Dozent an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Rheinland-Pfalz, ist dieser Frage nachgegangen und kommt zu – für den Bürger – erschreckenden Erkenntnissen, die für Juristen examensrelevant sind: Zunächst werde das Vertrauen des Bürgers auf die Rechtslage oder auf Gesetze geschützt. Darauf sollte er sich jedoch nicht allzu sehr verlassen, das heißt, er muss dem Staat gründlich misstrauen.
Wieso Vertrauensschutz?
Der Vertrauensschutz wird aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) hergeleitet. Da steht etwas von “demokratisch” und “sozial” drin. Was heißt das? “Sozial” bedeutet, “dass es dem Wohl der Allgemeinheit und insbesondere ärmeren oder schwächeren Menschen dient” liefern die Suchmaschinen als Antwort. Und was hat das mit dem rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot – pacta sunt servanda – zu tun? Zu prüfen sei, so erklärt Birtel, ob Gesetze ihre Wirkung auch für den Zeitraum vor ihrem Inkrafttreten entfalten können.
Um es dem normalen Bürger nicht zu leicht zu machen, unterscheiden die Juristen zwischen “echter” und “unechter” Rückwirkung.
Echte Rückwirkung
“Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn der Gesetzgeber rückwirkend in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreift, die Rechtsfolgen des Gesetzes also für einen vor der Verkündung beendeten Tatbestand gelten sollen”, so Birtels Erklärung. Die echte Rückwirkung sei “grundsätzlich ausgeschlossen und nur in streng umrissenen Ausnahmefällen zulässig”.
Unechte Rückwirkung
“Von unechter Rückwirkung spricht man, wenn eine Norm auf gegenwärtige noch nicht abgeschlossene Sachverhalte rückwirkend (der Tatbestand hat also schon begonnen) eingreift und damit die Rechtsposition nachträglich entwertet wird”, erklärt Birtel. Diese Art der Gesetzgebung sei grundsätzlich zulässig und nur in Ausnahmefällen unzulässig, weil es keinen generellen Vertrauensschutz auf den Fortbestand von Gesetzen gebe und der Staat durch Änderungen die Möglichkeit haben müsse auf das aktuelle Geschehen und weitere Bedürfnisse zu reagieren. Unzulässigkeit könne jedoch vorliegen wenn:
1. das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht rechnen musste und demzufolge auch in seinem Verhalten nicht einplanen musste. Ein Beschluss im Bundestag oder eine öffentliche Diskussion über Reformen werden als ausreichend erachtet, um das Vertrauen des Bürgers zu zerstören. In diesem Fall musste der Betroffene mit der Änderung rechen.
sowie kumulativ
2. das Vertrauen des Bürgers schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen. Das lässt sich am besten mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne (Angemessenheit) überprüfen. Auf der einen Seite steht demnach der Vorteil, den sich der Staat durch das Gesetz verschafft und auf der anderen Seite die Entwertung der Rechtsposition.
Zum Teil könne es wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit notwendig sein, dass der Gesetzgeber eine Übergangsregelung schafft. “Kann” heißt nicht “muss”, wie die Direktversicherungsgeschädigten nur zu gut wissen.
Wer die Erklärung der “unechten Rückwirkung” verinnerlicht, begreift, dass das Sozialrecht fast alles darf, wenn es um das Gemeinwohlinteresse geht. Darauf werden sich die Richter immer wieder zurückziehen und entsprechende Klagen abweisen.
Vorsicht vor Vertragsabschluss!
Was lernen wir daraus: Vorsicht vor Vertragsabschluss! Was ein Altersvorsorger heute an Sozialversicherung und Steuern spart, muss er dann in der Renten berappen. Der Staat schenkt ihm nichts. Wer eine Direktversicherung abschließt, spart zwar heute, muss aber im Alter als gesetzlich Krankenversicherter, wenn er auf das Geld angewiesen ist, den volle Krankenkassenbeitrag plus Zusatz- und Pflegebeitrag zahlen. Das sind immerhin zurzeit noch annähernd 20 Prozent, könnten aber in zehn, 20 oder gar 30 Jahren locker 25 Prozent und mehr sein. Der vom DVG erkämpfte Betriebsrentenfreibetrag von zurzeit 164,50 Euro ist nur eine kleine Erleichterung und gilt auch nicht für den Pflegebeitrag, der sich mit großer Wahrscheinlichkeit von heute 3,05 Prozent (3,3 für Kinderlose) in den kommenden Jahren verdoppeln wird. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag hat sich ja schon auf 1,3 Prozent erhöht.
Der Staat, in dem Fall der Gesetzgeber, darf per Sozialgesetz alles, auch rückwirkend enteignen – und er wird von den Gerichten darin bestätigt. Bislang liefen ausnahmslos alle Klagen ins Leere.
Das „Hamburger Abendblatt“ schreibt ganz richtig: „Das Urteil hat weitreichende Folgen“. Durch das Billigen dieser Praxis hat das oberste Sozialgericht der Abzocke durch Staat und Krankenkassen endgültig grünes Licht gegeben. Niemand darf mehr darauf vertrauen, dass sein Angespartes vor dem Staat sicher ist, weil der auch rückwirkend in Verträge eingreift und den Bestandsschutz aushebelt. Damit entfällt auch das letzte Argument für eine Direktversicherung. Das muss allen Jungen eine Lehre sein, die immer noch auf Direktversicherungen setzen. Staatliche Förderung betrieblicher Altersvorsorge hat damit ihren Sinn verloren, wenn daraus ein Minus-Geschäft wird. Es ist nur zu hoffen, dass das möglichst viele Junge begreifen und ihre betriebliche Altersvorsorge stilllegen und besser selbst privat vorsorgen.
Bilder: Reiner Korth/Reiner Wellmann/ Manfred Grund auf Pixabay